Donnerstag, 29. März 2007

ER-STARRT

Jorge saß auf der Treppe, auf der dritten Stufe von unten, und starrte Dana an. Er konnte dies gut, minutenlang, länger als es Dana aushielt.
Aber diesmal starrte Dana nicht zurück, sondern auf die Türe, die sich gerade hinter Paul leise geschlossen hatte. Jorge hatte sofort bemerkt, dass dieses Fortgehen Pauls etwas anders war als die vielen Male zuvor. Und das lag nicht daran, dass sich die Türe so leise schloß. Auch nicht daran, dass zuvor sehr viele Dinge in große Kartons verpackt worden waren, die Paul und Freunde von ihm anschließend aus der Wohnung getragen hatten. Solche Eigenheiten der Menschen waren Jorge weitgehend egal. Außerdem war nichts von dem verschwunden, was ihm, Jorge, wichtig war.
Nein, es war Danas Verhalten, dass diesmal anderes war.
Sie hatte nicht geschrieen, sie hatte auch nicht vor Wut geheult. Sie hatte eigentlich kein Wort gesagt. Und auch jetzt tobte sie nicht, warf keinen der Emailtöpfe, die als Zierde auf den Stufen nach oben standen, runter oder schlug auch keine Türe zu.
Sie saß nur da und starrte – an Jorge vorbei.

Schließlich erhob sich Dana und straffte sich.
Gut, es hatte so kommen müssen. Irgendwann halt. Paul wäre früher oder später gegangen. Jetzt war er eben früher gegangen. Sie würde damit zu recht kommen. Sie würde mit allem zu Recht kommen.
Dana schaute Jorge liebevoll an. „Komm.“ sagte sie –und Jorge kam mit.

Arbeit ist gut - Arbeit war immer gut. Zu arbeiten half Dana stets, wenn sie etwas Emotionales aus ihrem Kopf heraus bekommen wollte. Und daher wandte sie auch diesmal das bewehrte Rezept an und setzte sich vor ihren PC, öffnete ein leeres Dokument und starrte drauf.
Eine Kolumne – ihre Kolumne – wartete auf ihre Fertigstellung. Aber sie hatte einfach keine Ideen – inspirationslos völlig. Dabei war ihr vollkommene Freiheit gegeben. Keine Themenvorgabe, keine formalistische Einschränkung außer dem Gesamtumfang.
Doch sie war absolut leer, blank, tabula rasa.
Dana schaute zu Jorge.
Dieser saß etwa einen Meter von ihr entfernt am Boden und starrte sie an.

Dana starrte auf Jorge und diese starrte zurück.
Jorge war eigentlich Pauls Geburtstagskater gewesen, genauer gesagt, hatte sie Paul den damals noch wesentlich kleineren Jorge zum Geschenk gemacht – durchaus mit dem Egoismus in ihren Motiven, dass sie selbst eine Katze gewollt hatte. Daher war sie es auch gewesen, die Jorge ausgewählt hatte.
Paul ging. Jorge blieb. Und starrte sie an.

Dana schaute wieder auf den leeren Monitor, auf die Tastatur, auf der ihre Hände ruhten – exakt gesagt schwebten sie in lockerer Haltung etwa 12 mm über der Tastatur, verharrten dort entspannt, einsatzbereit, auf die Signale ihrer Besitzerin wartend.
Doch Dana war zu keiner Signalgabe im Stande.

Dann schaute sie wieder zu Jorge. Jorge saß genauso da wie zuvor, ein kräftiger, großer, Kater mit rundlichem Kopf und wunderschönen dunkelgrau und schwarz getigertem Fell.
Und er starrte Dana an.

Dana seufzte.
Dann fiel ihr ein, dass sie Jorge heute zu füttern vergessen haben könnte.
Nun, wen sollte es wundern, der Tag war außergewöhnlich und anstrengend, da konnte so etwas schon mal passieren, zumal es meistens Pauls Aufgabe gewesen war, Jorge zu füttern. Zumal es sein Kater war, auch wenn er Danas Geschenk an Paul gewesen war.
Wie leichtfertig er den Kater zurück gelassen hatte, dachte Dana, typisch für die letzten Phasen ihrer Beziehung.
Sie ging in die Küche, Jorge wartete, bis sie an ihm vorbei gegangen war und erhob sich dann auch. Dana sah nicht hin, aber sie merkte, dass er ihr folgte.

Sie füllte etwas Fleischstückchen aus der Dose im Kühlschrank in eine Lilienporzellanschüssel und hielt inne. Ganz langsam drehte sie ich um: Jorge saß einen Meter hinter ihr am Boden und starrte sie an.
„Bist Du schon so hungrig?“ fragte sie, doch gleich darauf war ihr klar, dass Jorge bei Hunger nie ruhig hinter dem, der ihn fütterte gesessen war. Zumindest nicht bei Paul.
Warum tat er das jetzt? Ob Paul das auch schon aufgefallen war.
Dann tadelte sie sich – Paul war weg, Paul konnte nicht gefragt werden, Paul war somit egal.
Sie stellte die Schüssel an den gewohnten Platz zwischen Kühlschrank und Küchentisch, während sie Jorge weiterhin anstarrte.
Dann verließ sie die Küche, annehmend, dass Jorge nun das tat, was er immer tat, wenn man ihm eine frisch gefüllte Schüssel vorsetzte, nämlich deren Inhalt in sich zu transportieren und damit würde er einige Zeit lang beschäftigt sein.
Sie setzte sich wieder an ihren Schreibtisch, beachtete die leere weiße Fläche des Dokuments nicht und wechselte zu ihren Mails. Eine lange Liste erwartete sie im Posteingang und Dana war nicht unerfreut. Viele ihrer Freundinnen wußten von Pauls Auszug und bekundeten ihr Mitgefühl und teilweise ihre Freude a la „Gut, dass Du ihn los bist.“ Dana grinste. Tja, so mußte sie es tatsächlich sehen.
Schnell ein paar Antworten tippen – und da, eine Bewegung am Rande ihres Blickfelds und Dana drehte unwillkürlich den Kopf in deren Richtung. Jorge saß da, eineinhalb Meter entfernt von ihr und starrte sie an.
Dana schob ihre Augenbrauen zusammen. „Na, Schätzchen, bist Du schon fertig?“ fragte sie, aber ihre Stimme klang nicht so sanft, wie dir Worte, die sie verwendete. Jorge bewegte sich nicht von der Stelle und wandte auch nicht den Blick ab. Danas Augenbrauen schoben sich noch mehr zusammen. Dann beschloß sie ihn zu ignorieren.
Sie konzentrierte sich auf die Mails, die sie beantworten wollte. Vielleicht kamen ihr hierbei ein paar Ideen für die längst fällige Kolumne. Normalerweise waren ihre Freundinnen sehr inspirierend.
Sie schaute nicht zur Seite, aber sie wußte, dass Jorge nach wie vor da saß. Sie mußte nicht hinsehen, um zu fühlen, wie der Kater sie anstarrte.
Aber hier war sie das höhere Lebewesen und sie würde sich nicht durch einen Kater aus dem Konzept bringen lassen. Sie doch nicht, eine toughe Frau, eine Powerfrau, die gerade die Trennung von ihrem Lebensgefährten hinter sich gebracht hatte ohne nur eine Träne zu vergießen.
Verdammt, warum hatte Paul den Kater nicht mitgenommen!
Erst jetzt merkte sie, dass sie mitten im Mail aufgehört hatte zu tippen und grübelte.
Nein, so ginge das nicht.

„Jorge, verschwinde!“ sagte sie laut, sich dem Kater zuwendend. „Geh schlafen oder geh Fliegen jagen oder leck Dich überall ab, aber verschwinde jetzt!“ Jorge blieb ungerührt. „Jorge, mach Dich davon!“ rief sie ihm zu, aber der Kater starrte weiter zu ihr. Dana sah sich gezwungen, aufzustehen und schubste ihn zuerst mit der Fußspitze und dann, als das nichts nützte, mit den Händen an, was ihn schließlich dazu veranlaßte, weg zu laufen, irgendwohin, zur Treppe, in die Küche. Egal, weg jedenfalls.
Dana seufzte, setzte sich, schaute auf die Mails, schaute auf die Antwort, die sie gerade zu schreiben begonnen hatte, schaute auf die Uhr. Schaute zur Treppe – sah Jorge, den Kopf, zwischen den Streben der Brüstung hindurch gesteckt, sie anstarrend.
„Verschwinde!“ schrie Dana. Seltsamer Weise war er tatsächlich sofort verschwunden, so rasch, dass Dana schon glaubte, sich getäuscht zu haben…
Doch um ihre Konzentration war es gänzlich geschehen.
Aber was erwartete sie von sich selbst? Der Tag war extrem gewesen, Ausnahmezustand. Wer konnte da schon genügend Konzentration aufbringen. Soviel durfte sie selbst nicht mal von sich verlangen. Sie beschloß spazieren zu gehen. Tat es auch, zog sich an, schloß die Türe hinter sich. Leise, wie zuvor Paul. Und ohne sich von Jorge zu verabschieden, wie zuvor Paul.

Als sie nach einem ausgiebigen Spaziergang unter Vermeidung von Tränen heimkam, aufsperrte, die Jacke auf hängte, aus den Schuhen schlüpfte, fiel ihr Jorge wieder ein. Oder vielmehr fiel er ihr auf. Denn er saß im Vorzimmer und starrte sie an. Von dem Augenblick an, als sie die Türe geöffnet hatte.

Dana runzelte die Stirne. Der Spaziergang hatte sie etwas versöhnlicher gestimmt und sie überlegte, ob Jorge sich anders verhielt als sonst. Wäre es einfach möglich, dass er durch Pauls Fortgang gestreßt war und nun dieses seltsame Verhalten an den Tag legte?
Armer Kater, wahrscheinlich ging es ihm furchtbar schlecht und er benahm sich deswegen so eigenartig. Dana hockte sich vor Jorge, der sie beharrlich anstarrte, ohne sich auch nur einen Hauch aus der eleganten Sitzposition, die er eingenommen hatte, weg zu bewegen.
Dana streckte die Hände aus und wollte ihn kraulen, doch da erhob er sich, um sich zwei Katzensprünge entfernt von ihr neuerlich niederzulassen und sie weiter anzustarren.
Dana war einfach überrascht. Dies war nun wirklich kein typisches Jorge-Verhalten und weiters etwas, was sie unbedingt neuerlich testen mußte. In der Hocke sich mühsam vorwärts bewegend, kam sie neuerlich nahe genug, um Jorge zu berühren. Und neuerlich erhob der Kater sich und ließ sich ein Stück weiter von ihr entfernt wieder nieder, gleiche Haltung, gleiches Starren.
Dana wurde ärgerlich. Nicht mit ihr. Nein, wirklich nicht. Sie stand auf, bedachte mit Jorge mit einem sehr strengen Blick, der absolut keine Wirkung hatte, außer ihr Genugtuung zu verschaffen und ging ins Bad. „Duschen, ja, Duschen, den Kopf reinmachen. Das ist jetzt angebracht.“
Natürlich saß Jorge vor der Dusche, als sie die Glastüre beiseite schob. Er war durch den kleinen Spalt, den Dana die Badezimmertüre immer offen stehen ließ um den Dampf entweichen zu lassen, herein gekommen. Natürlich starrte Jorge Dana an.
Dana fühlte sich nackt.
Gut, sie war nackt. Aber sie fühlte sich in ihrer Nacktheit beobachtet. Und das in ihrer eigenen Wohnung. Was wollte der Kater von ihr?
Dana wurde rot, sie errötete vor einem Kater und sie errötete, weil sie vor einem Kater errötete und sich nun mit einem Handtuch bedeckte. Und dann den Bademantel überstreifte.
Und das alles auch noch, in dem sie dem Kater, der mitten im Badezimmer saß und sich keine Bewegung von ihr entgehen ließ (wirklich, tat er das? Verfolgten seine Augen sie, ohne dass er den Kopf dafür drehen mußte?), vorsichtig auswich. Oder rücksichtsvoll. Ja, das gefiel ihr besser: rücksichtsvoll. Weil Jorge gerade die Trennung seiner Besitzer miterlebt hatte.
Jetzt konnte sie den Bademantel ausziehen, denn Jorge war nur ein armes Tier, das gerade eine schwere Krise durchgemachte, auch wenn er sie dabei anstarrte.
Dana entschloß sich, Jorges Verhalten genau als das zu betrachten, was es wohl war: stressbedingt. Er brauchte Schonung, er brauchte Verständnis. Er brauchte Danas liebevolle Geduld (etwas, was Paul nie zu schätzen gewußt hatte.). Dann würde er mit dem Starren wie von selbst aufhören. Ja, das würde er!

„Juli, der Kater ist verrückt!“ sagte Dana ins Telefon. Nachdem sie drei Stunden lang versucht hatte, einen Film, einen ihrer Lieblingsfilme, zu sehen, während Jorge zwischen Fernseher und Dana saß und sie anstarrte.
Juli überlegte. „Die Tochter meiner Nachbarin, nein, eigentlich die Schwiegertochter meiner Nachbarin – oder war es die Schwägerin der Tochter meiner Nachbarin? ...“ - „Juli, Schwiegertochter und Schwägerin sind ein und dieselbe Person!“ - „Dana, da irrst Du Dich. Die Tochter meiner Nachbarin kann eine Schwägerin habe, die die Frau ihres Bruders ist, also die Frau vom Sohn meiner Nachbarin oder die Schwester vom Mann der Tochter meiner Nachbarin. Also die Schwägerin ist die Schwester des Mannes von der Schwester des Sohnes meiner Nachbarin.“ - „Juli, es geht um den Kater!“ - „Ach so, ja. Also jedenfalls hatte sie eine Katze, die aus dem vierten Stock sprang.“ - „Also auch verrückt.“ - „Nein, damals war die Katze noch nicht verrückt. Sie fanden sie nach drei Tagen im Park in der Nähe, mit mehreren Brüchen, Platzwunden usw, aber das Tier hat es überlebt, kam zum Tierarzt und der flickte es zusammen.“ - „Hm…“- „Und dann wurde es verrückt. Es sprang plötzlich seine Besitzerin an, bevorzugt vom Kasten oder vom Kühlschrank runter, krallte sich am Kopf fest wie dieses mehrarmige Alienmonster, das die Astronauten ansprang zwecks Vermehrung.“ - „Eine Zombie-Katze sozusagen.“ - „Ja, sie trieb sie dann mit einem Besen in eine Ecke und sperrte sie ein, bis die Tierrettung kam und sie mitnahm. Später hat sie sie noch einmal im Tierheim besucht. Als die Katze die Frau sah, sprang sie sofort ans Gitter und versuchte sich auf sie zu stürzen. Sie haben sie daraufhin eingeschläfert.“ - „Hm..“ Dana schaute zu Jorge, der sie nur anstarrte. Sie versuchte zu entdecken, ob er irgendwelche Tendenzen zeigte, sie anzuspringen.
Aber dem war nichts so. (Andererseits hatte Dana keine Ahnung wie eine Katze war kurz bevor sie zum Berserker wurde.) „Meinst Du, ich sollte Jorge einschläfern?“ „Nein, er ist ja nicht aus dem vierten Stock gefallen. Aber pass auf, wenn er auf dem Kasten sitzt und Du vorbei gehst und schau darauf, dass Du immer einen Besen zur Hand hast.“ Dana beschloß Julis Rat zu folgen, auch wenn ihr dies reichlich absurd erschien.
„Hast Du vor Dich in irgendwas zu verwandeln?“ fragte sie Jorge. Doch der starrte sie nur an.

Dana ging schlafen. Das Bett neben ihr war noch zerwühlt von Paul, der es heute morgen wie jeden Tag verlassen hatte, und sie ärgerte sich, weil sie verabsäumt hatte, die Bettwäsche zu wechseln. Sicher war es verschwitzt, weil Paul in den letzten Tagen – in den letzten Nächten, in DER letzten Nacht – so unruhig geschlafen hatte. Sicher roch es nach Schweiß. Sicher brauchte sie erst gar nicht daran schnuppern, um es zu riechen. Pauls Schweiß. Paul.

Sie schlief ein, eine Hand auf dem leeren Polster neben ihr liegend.
Dann wachte sie auf, später, ohne wirklich geweckt zu werden, einer dieser kurzen Momente zwischen zwei Schlafphasen, in denen man kurz die Augen öffnet als wolle man sich vergewissern, dass es noch Nacht ist, sie gleich wieder schließt und neuerlich einschläft.
Doch Dana schloß die Augen nicht. Denn am Fußende des Bettes, dort wo eigentlich Pauls Füße gelegen hatten, letzte Nacht, saß Jorge und starrte Dana an. Durch die dämmrige Dunkelheit des Schlafzimmers, und doch klar erkennbar.
Dana starrte zurück, mit jedem Augenblick wacher werdend und mehr entfernt von der nächsten Schlafphase. Dann packte ihre Hand den Polster- Pauls Polster – und schleuderte ihn nach dem Kater, der eigentlich Pauls Kater war. Jorge schoß davon, verschwand in der Dunkelheit, irgendwo raus aus dem Zimmer.
Dana schloß die Augen, presste die Lider zusammen und versuchte nicht an Jorge zu denken, und auch nicht an Paul. Aber sie war nie gut darin gewesen, an etwas nicht zu denken.

Als sie am Morgen aufwachte, erwartete sie Jorge und wurde nicht enttäuscht. Er saß am Boden vor dem Bett, katerhaft, sittsam, starrte.
Dana starrte zurück. „Ich habe Zeit“, dachte sie. „Es ist Sonntag und ich habe Zeit. Ich habe keinen Morgensex, daher habe ich Zeit, mit Dir um die Wette zu starren.“ Und nach einer Pause. „Mein Gott, ich starre mit einem Kater um die Wette.“
Trotzdem hörte sie nicht auf.
Sie tat es circa zehn Minuten später, als ihre Augen zu tränen begannen.
Das war auch der Zeitpunkt, als sie begann, auf Jorge wütend zu werden. Sie stand auf. Dann gab sie ihm einen Tritt. Natürlich wich Jorge rechtzeitig aus. Natürlich war sie im Grunde froh, dass sie Jorge nicht mal gestreift hatte. Aber sie wußte, dass es damit nicht vorbei war.
Dana verbrachte den Sonntag vormittag mit Hausarbeiten und dem Versuch ihre Kolumne zu schreiben. Und Jorge beobachtete sie. Sie schrieb schließlich ihre Kolumne, machte aus einem der Versuche den endgültigen Text und bereitete ein Interview vor. Dann aß sie eine Kleinigkeit, betrachtete 15 Minuten lang die selbe Seite eines Buches um Jorge zu zeigen, dass sie ihn nicht beachtetet und verließ dann die Wohnung für eine Trip ins Fitneßcenter. Jorge erwartete sie bei ihrer Heimkehr. Er starrte, sie starrte zurück. Jorge starrte länger, sie versuchte ihn zu ignorieren, dachte an einen Besen und an Zombiekatzen.
Warum hatte Paul den Kater nicht mitnehmen können?
Sollte sie Paul anrufen?
Nein, sollte sie nicht.
Würde sie nicht. Nicht wegen einem Kater. Überhaupt nicht.

Dana sah fern, Jorge sah Dana beim Fernsehen zu.
Beim Duschen sah er ihr nicht zu, denn es gelang ihr, die Badezimmertüre zu schließen, bevor er hereinkommen konnte. Aber er wartete draußen.
Dana träumte von Jorge und wenn sie aufwachte, verspannt, angespannt, war Jorge da.
Am nächsten Morgen war Dana fiebrig, hustete, ihr Kopf dröhnte.
Natürlich könne sie auch von zuhause aus die Unterlagen vorbereiten, meinte ihre Chefin. Dana wußte, dass das hieß, dass sie ausnahmsweise nicht mit Fieber ins Büro kommen mußte. Zumal sie „ja eine Trennung hinter sich“ hatte, und „alle hier“ hatten „Verständnis für so eine schlimme Situation.“ Dana war zornig. Auf ihre Chefin. Auf Paul, auf Jorge, auf Paul, der Jorge bei ihr zurück gelassen hatte.
War es möglich, dass Paul ihm dieses Starren beigebracht hatte?
Dana fühlte sich elend, und legte sich wieder ins Bett, damit sie sich dort angemessen elend fühlen konnte. Jorge leistete ihr Gesellschaft.
Am nächsten Tag war das Fieber gestiegen. Danas Kopf war am bersten, jeder Atemzug mündete in einem Hustenanfall.
„Grippe“, sagte ihr Hausarzt, der vorbei kam. Und: „Was haben sie da für eine entzückende Katze, wie liebevoll sie sie ansieht!“.
Konnten Katzen Grippe übertragen, wollte Dana wissen. Als der Arzt lachte, unterließ sie es, ihn über die ersten Anzeichen von Geistesgestörtheit bei Katzen zu fragen.
Das Fieber stieg weiter an, Dana schlief und schlief auch nicht, Jorge war da, zu jeder Tageszeit, zu jeder Nachtzeit, am Fuße der leeren Bettseite, neben dem Bett, unter dem Fenster, in der Türe. Seine grünen Augen ließen Dana nicht aus dem Blick. Nicht, als sie Tee machte, nicht als sie den Pyjama wechselte, nicht als sie sich aufs Klo schleppte. „Der Kater schaut mir beim Pinkeln zu!“ grollte Dana schließlich, dann packte sie ihn.
Erstaunlich eigentlich, dass das jetzt möglich war! Dache sie, als sie, die Pyjamahose um die Knie schlotternd, den zappelnde Kater in den fieberheißen Händen von sich haltend, zum Stiegenabgang ging. Erstaunlich, dass ich ihn schnappen konnte. „Hey, das hast Du jetzt nicht erwartet, stimmts?“ brachte sie hervor und schaffte sogar ein Lachen. Wenn sie es geschafft hätte, die Pyjamahose hoch zu ziehen, hätte diese Aktion sogar etwas Triumphales an sich gehabt. Doch so war es etwas schräg, als sie so über das Stiegengelände gebeugt stand. Und losließ.
Jorge fiel – und er fiel auf die Treppe, genauer gesagt auf die dritte Stufe von unten. Dann lag er bewegungslos da, den Kopf nach oben gerichtet, starrte.
Einen Augenblick lang hatte Dana Angst, dass etwas schief gegangen war. Vorsichtig ging sie zwei Schritte zur Seite, schaute dabei nach unten, erwartete, dass sich Jorges Kopf bewegte, damit er sie im Blick behalten konnte. Doch der Kater blieb regungslos.
Dana wollte lachen, was ihr aber dann in Anbetracht des Zustands ihrer Pyjamahose unpassend erschien, wäre es doch nicht wirklich ein Triumphlachen geworden. Daher zog sie einfach die Hose hoch und ging die Treppe hinunter.
Keine neun Leben, eines nur, und das war nun zu ende.
Dana überlegte, ob sie in ihrem Zustand in der Lage war, zu überprüfen, ob Jorge tatsächlich tot war.
Aber in Anbetracht ihres Zustandes ging sie einfach davon aus, dass ein Kater, der mit dem Rücken auf eine Treppe fiel und sich danach nicht mehr bewegte, tot sein mußte.
Keine Zombiekatze, kein Besen notwendig.

Am nächsten Tag kam Juli vorbei und brachte Hühnersuppe, instand zwar, aber zumindest das Hühnerfleisch hatte sie selbst gekocht.
„Wo ist Jorge?“ fragte Juli.
„In der Küche“, Sagte Dana. „Er starrt nicht mehr.“
„Dann ist es ja gut, es war nur eine Phase.“ Antwortete Juli.
Ja, nur eine Phase, dachte Dana.

Die Weinkiste (6 Stück südspanischer Rotwein) im Kühlschrank nahm Platz weg, den Dana im Grunde aber nicht brauchte, doch das permanente Surren des auf die kälteste Stufe gedrehten Kühlschranks störte Dana in ihrer Rekonvaleszenz.
Am übernächsten Tag erledigte sie einen Postweg, bevor sie zu ihrem Hausarzt ging, um das Ende ihres Krankenstandes bestätigen zu lassen.
„Wie geht es Ihrem Kater?“ fragte diese abschließend. „ Ich mußte ihn an meinen Ex-Freund übergeben“, antwortete Dana. „ Er hat unter der Trennung gelitten.“
„Der Kater oder Ihr Ex-Freund?“ wollte der Arzt wissen.
„Der Kater, Herr Doktor, das arme Tier. Ich konnte es nicht mehr mit ansehen.“