Dienstag, 17. April 2007

Wir werden ins Wasser geboren....

Wir werden ins Wasser geboren.
Anfangs treiben wir dahin, schwerelos, sind umgeben von der Flüssigkeit, spüren die Strömungen, aber es besteht kein Zwang, eine Richtung einzuschlagen, unseren Bewegungen Ziel, Streben zu geben.
Langsam treiben wir an die Oberfläche, sehen uns um, erkennen, dass kein Land erkennbar ist, aber wir lernen zu unterscheiden, dass es ein Oben und ein Unten, Wasser und Nicht-Wasser gibt. Aber noch sind wir im Stande, auch unter der Oberfläche zu existieren, und nach unten nimmt das Wasser kein Ende, kein Grund ist erkennbar. Es besteht auch keine Notwendigkeit, ihn zu erkennen.
Doch irgendwann, als wir wieder an die Oberfläche kommen, sehen wir am Horizont eine Küste, ein Ende des Wassers, weit entfernt und daher belanglos. Wir tauchen wieder unter, und dann doch wieder auf, denn die Küste hat unsere Neugierde geweckt. So bewegen wir und aufwärts und abwärts.
Doch unmerklich wird es schwieriger unter Wasser zu atmen, bis wir merken, dass wir nun jedes Mal zum Luftholen an die Oberfläche müssen und aus dem Freiwilligen wird ein Zwang, das erste Mal in unserem Leben sind wir zu etwas gezwungen.
Doch andererseits wird das, was sich am Horizont zeigt, immer interessanter. Eines Tages bemerken wir, dass diese Küste uns in allen Himmelsrichtungen umgibt. Es ist ein Schock, denn wir begreifen schlagartig, dass das Wasser ein Ende hat, dass es begrenzt ist.
Lange tauchen wir unter, kommen nur kurz an die Oberfläche. Doch das, was wir dort sehen ist nach wie vor vorhanden. Doch wir tun es schließlich ab, denn das Wasser ist noch immer unser Reich, in dem wir tauchen können, wie es uns gefällt.
Doch dann kommt der Moment, als wir in den Tiefen eines Tauchgangs den Boden, den Grund des Wassers erreichen. Wir sind erstaunt, denn dass es ihn gibt, haben wir nicht erwartet. Was bedeutet es nun? Dass das Wasser sowohl zu den Seiten hin als auch nach unten begrenzt ist. Wir nehmen es hin, denn uns bleibt nicht anderes übrig.
Seltsamerweise macht das Schwimmen und Tauchen nun nicht mehr soviel Freude wie früher und einige Zeit lang, verharren wir wassertretend und sehr nachdenklich.
Aus dem Nachdenken heraus beginnen wir auf die Küste zuzuschwimmen. Doch je näher wir ihr kommen, desto stärker wird die Strömung, die uns wieder von ihr wegdrängt, so daß wir sie nur aus der Ferne erahnen können, niemals jedoch erreichen.
Da überkommt uns eine trotzige Lust. Wir tauchen unter und wieder auf, toben im Wasser herum wie spielende Delphine, um zu zeigen, dass wir nicht willens sind, uns unsere Freud zu nehmen. Bis wir schließlich erschöpft sind und uns treiben lassen, um Ruhe zu finden.
Gedankenverloren, wassertretend, schauen wir uns um, die Küste ist noch immer da.
Und in diesem Augenblick passiert es: Wir fühlen, wie unsere Füße den Grund unter dem Wasser berühren. Wir erschrecken, denn das hatten wir nicht erwartet. Wir versuchen zu begreifen, was es bedeutet und geraten dabei in Panik. Wir schwimmen drauflos, egal wohin, halten uns an der Oberfläche, um ja nicht mehr mit dem Boden in Berührung zu kommen. Wir schwimmen so lange, bis uns unsere Kraft verläßt, dann stehen wir. Ja wir stehen, auf dem Boden unter dem Wasser.
Zu diesem Zeitpunkt, als unsere Füße festen Halt haben und unser Körper bis zu den Schultern im Wasser steht, akzeptieren wir es. Es ist nicht leicht. Wir warten, überlegen, aber es ändert sich nichts. Nein, doch ändert sich etwas, während des Wartens sank der Wasserspiegel und gibt unseren Oberkörper bis zur Brust frei.
Wir stehen vor der Entscheidung was wir weiter tun wollen: Schwimmen, solange es noch geht, oder gehen, am Boden, doch bei beiden ist die Frage: wohin?
Denn egal was wir tun, die Küste bleibt gleich fern. Die Strömung hindert uns sie schwimmend zu erreichen, unsere im Untergrund versinkenden Füße verhindern das Herankommen zu Fuß.
Bis es dann so weit ist, dass wir uns nicht mehr schwimmend fortbewegen können, denn das Wasser reicht nur mehr bis zur Hüfte. Die Entscheidung wurde uns abgenommen.
Wir waten durch das sinkende Wasser, irgendwohin, bis es uns nur mehr zu den Knien reicht und wir resignieren. Wir lassen uns zu Boden sinken, fühlen, wie das Wasser uns noch benetzt, dann ist es Schlamm, in dem unser Körper einsinkt.
Unsere Hände ruhen in den Lachen, die noch vorhanden sind, damit wir die Verbindung zum Wasser halten, doch dann sind auch die ausgetrocknet.
Wir fühlen, wie unser Körper, halb vom Schlamm umgeben, schwer wird und unsere Bewegungsfreiheit schwindet.
Der Schlamm um uns, der einmal der unerreichbare Boden des Wassers war, beginnt zu trocknen, wird hart und schließt uns ein, so daß wir mit ihm erstarren.
Ein letztes Mal schauen wir zur Küste, die fern ist wie zu Anfangs, dann lassen wir den Kopf auf den rissigen, harten Boden sinken und geben uns der Erstarrung hin.