Mittwoch, 11. April 2007

Cutting

Dann löschte sie einen Beitrag nach dem anderen aus seinem Forum. Und es waren nicht wenige, so daß sie über eine Stunde daran arbeitete.
Hätte sie jemand gefragt, warum sie es tat, so wäre ihre Antwort einfach gewesen: ich möchte keine Spuren hinterlassen.

Im Grunde hatte sie angekündigt, dass sie so handeln würde. Ihr fehlte dieses Bemühen der Menschen, Bleibendes zu schaffen, Dinge, die noch weiter existierten. Und wenn sie es denn doch tat, so maß sie ihnen keine Bedeutung bei. Es war ihr gleichgültig, ob sie in Vergessenheit geriet, ob jemand nach ihr fragte. Ganz im Gegenteil: das Spurlose entsprach ihr, sagte ihr zu, stimmte mit ihrem Wesen überein.

Als nächstes lösche sie sämtliche Mails, SMS und die Fotos, die sie von ihm gespeichert hatte. Sie verschob die Texte mit den Gedicht und dem Fragment einer Geschichte, die er ihr geschickt hatte, in den Papierkorb ihres PCs.
Anschließend änderte sie die Namenseintragung bei seiner Telefonnummer in ihrem Handy, so daß er von der privilegierten Stelle an dem zum Alphabet passenden Platz in der Namensliste rutschte.

Wie einfach dies alles ging, und wie erleichtert sie sich bei jedem Enter, jedem „Durchführen“ fühlte: als schnitt sie Faden für Faden von dem durch, was sie am Boden fixiert hatte.

Mochte er seine Prüfung bestanden haben, das, wozu er sie gebraucht hatte. Mochte er die Frist geschafft haben und sie nach wie vor begehren, vielleicht sogar wirklich in sie verliebt sein.
Sie hatte ihre Herausforderung nicht bestanden, aber im Grunde hatte sie sie gar nicht angenommen. Statt dessen hatte sie dem statt gegeben, was schon so lange in ihr zog und zerrte, ihr ein Bedürfnis war. Sie wollte sich umdrehen und gehen. Wie sie es ihm gesagt hatte, dass sie im Stande dazu wäre. Umdrehen und gehen, ohne auch nur einmal zurück zu sehen. Ohne einen Abschied, der doch nur der Lächerlichkeit einer Entschuldigung für ein nicht begangenes Vergehen gleich kam.
Wie sehr hatte sie es ersehnt, dies tun zu können, von seinem ersten Versuch einer Erklärung an.
Wie sehr hatte er sie dazu gemahnt, es diesmal nicht zu tun, denn das war es vielleicht, was sie durch und mit ihm lernen konnte: zu bleiben und vielleicht Wurzeln zu schlagen, anstatt wieder mit dem sich drehenden Wind fort zu gehen. Bleiben, ja, aber wofür?

Nein, sie brach die Brücken ab, ließ nichts zurück, nahm auch nichts mit. Streifte ab, was sie bewegte, was sie fühlte. Und dann war es vorbei.

Er merkte es am nächsten Tag, als er das Forum betrachtete. Einfach nur die Beitragsanzahl, die geringer geworden war. Ein Blick in den Administrator-Bereich genügte, und er war im Bilde, was geschehen war. Er wußte, was sie getan hatte, wußte, wieso sie es getan hatte.

Dann rief er sie an.
Auf dem Display ihres Handys erschien sein Name und blinkte im Takt des Läutens. Sie starrte auf die Anzeige, mit schief gelegtem Kopf und vollkommen teilnamslosen Gesichtsausdruck. Als der Anruf auf die Mailbox sprang, wurde er beendet.

Er legte auf.
Es tat weh, als ihm die Tränen in die Augen stiegen, das erste Mal seit Langem, dass er dies verspürte.
Er wußte, er würde es später wieder probieren sie anzurufen. Und er wusste, dass sie auch später nicht abheben würde…