Donnerstag, 19. April 2007

Solide

Ich weiß eigentlich nicht wirklich, wann ich entstanden bin.
Ich war einfach da.
Und mein Bewußtsein von mir selbst war es auch, vom ersten Moment an.

Aber ich gebe zu, ich weiß nicht wirklich viel von mir selbst.
Und am wenigsten weiß ich, was ich eigentlich bin. Aber ist dieses Wissen so wichtig?
Es ändert nichts an meiner Präsenz.
Und präsent war ich, bin ich , werde ich sein.
(Als was? Aber das ist egal, denn ich habe das Wissen um meine Unauslöschlichkeit.)

Ich erfuhr mich selbst das erste Mal, im ersten Augenblick meines Seins, in einer Mauer.
Warum ich wußte, dass es eine Mauer ist? Ich weiß solche Dinge. Mir steht das Wissen offen.
Das Wissen von allen, aber nicht über alles. Darin besteht ein feiner Unterschied.
Niemand weiß zum Beispiel, was ich bin. Das Wissen darüber ist allerdings vorhanden.
Wissen ist zeit- und grenzenlos. Doch der Zugriff darauf ist es nicht.

Ich befand mich also innerhalb einer Mauer. Und ich fühlte mich so nicht unwohl. Also erforschte ich die Mauer und entdeckte den Raum außerhalb ihrer Festigkeit.
Wobei Festigkeit relativ ist. Ich kann mich bewegen, wodurch auch immer ich möchte. Und ich manifestiere meine Kräfte gegen das, was ich soeben noch durchdrungen habe.
Ich lernte also. Und ich schaute aus der Mauer heraus.

Ich sah Räume im Raum. Und ich bewegte mich durch sie, ohne etwas zu bewegen.
Einige Zeit lang meinte ich, alleine zu sein. Das einzige Wesen meiner Art in einer leeren Welt ohne andere Wesen von anderer Art.
Doch dann kamen sie: zwei Wesen, die so kompakt waren, dass sie nicht fähig waren, zu durchdringen, wie ich es konnte. Sie waren also nicht von meiner Art.

Ich beobachtete sie.
Ich war einsam. Doch meine Stimmlosigkeit half mir nicht weiter, mit ihnen zu reden, wie sie es untereinander taten. Diese Unfähigkeit beendete kurzfristig mein Wohlbefinden in der Mauer und in den Räumen im Raum außerhalb der Mauer.

Warum konnte ich nicht was sie vermochten? War ich dazu absolut nicht im Stande oder war es eine relative Unfähigkeit, die Luft, die sie durchdrangen und die sie gleichzeitig zum Schwingen brachten, nicht auch zum Schwingen zu bringen, es ihnen gleich zu tun?
War es nur eine Unfähigkeit der Kommunikation zwischen mir und ihnen oder war es eine generelle Unfähigkeit des Kommunizierens, die auch Wesen meiner Art betrafen?

Ich konnte die Frage nicht beantworten, da ich ja nicht wußte, ob es welche meiner Art gab, da der Zugang zu diesem Wissen noch verschlossen, war. Daher fühlte ich Trauer .
Ja, ich kann fühlen. Ich streifte innerhalb der Mauer herum, von einer Mauer zur anderen Mauer, hinauf hinunter, suchte in dem Haus nach anderen meiner Art, doch die Suche blieb erfolglos. Ich wagte es auch nicht, die Wände meiner Entstehung zu verlassen, fühlte ich mich doch dort und nur dort wirklich sicher. Ich beschloß zu warten.

Eines Tages bebte die Erde. Ein Wenig nur, ließ die Wand vibrieren, ließ Gläser in Schränke vibrieren und andere Dinge ebenso, so daß die kompakten Wesen ungemein erschraken und ich erkennen konnte, dass sie dieses Erlebnis berührte. Ständig schauten sie auf Boden, Decke, Wände. Und sie schauten zu mir. Sie beachteten mich, ohne aber meine Anwesenheit wahrzunehmen. Doch allein diese Aufmerksamkeit mochte ich.

Also wußte ich, was zu tun war.
Wenn die kompakten Wesen im Stande waren, Luft zum Vibrieren zu bringen, so mußte ich doch Ähnliches auch tun können.
Im selben Augenblick ließ ich ein Bild von der Wand fallen.
Es war nicht so schwierig. Ganz im Gegenteil. Und wie ich es gelernt hatte, waren die kompakten Wesen sofort aufmerksam, betrachteten das herabgefallene Bild, den Haken, der in der Wand steckte. Sie redeten miteinander, redeten auf den Haken ein und berührten mich mitunter in der Mauer, was mir wohl tat. Ich schuf Vorräte des Wohlbehagens und der Beachtung. Einige Zeit lang war ich satt.
Doch dann kam der gleiche Hunger nochmals. Also ließ ich wieder ein Bild fallen, worauf sich das Prozedere wiederholte. Ich war glücklich. Zumindest so lange wie die Vorräte anhielten. Dann ließ ich noch ein drittes Bild fallen und erweiterte meinen Speiseplan, denn ich erhielt ein neues Gefühl der kompakten Wesen, dass sie um mich rankte, auch wenn sie gar nicht wußten, dass es mich gab: Angst.
Ein großartiger Lohn dafür, dass ich nicht viel Anstrengung aufwendete um die Bilder von den Haken zu lösen.

Einige Zeit später entschloß ich mich noch mehr Energie anzuzapfen. Ich ließ die Spiegel hintereinander von den Wänden fallen, nur einer pro Nacht, und doch genügte es.

Voller Freude gewahrte ich, dass sie mich nun persönlich ansprachen, mir einen Namen verliehen, der die Geburtsherkunft zwar nicht anzeigte, aber mir endlich eine Zugehörigkeit waren. Ebenso wurde ich in der Mauer – also eigentlich die Mauer – immer öfter mit ihren Blicken bedacht, was mich darauf schließen ließ, dass sie mich beobachteten. Sie nahmen mich zur Kenntnis. Doch es fehlte an Worten der Kommunikation.

Ich entschloß mich diesmal für die Rohre und auch dazu, es nicht bei einem singulären Ereignis zu belassen, sondern eine Serie von Ereignissen in meiner Mauer zu erzeugen.
Ich fand ein Rohr in den Hohlräumen der Ziegel, die mich nicht weiter interessierten, es sei denn meine Konzentration verlangte ihre Undurchdringlichkeit.


Ich bemühte mich diesmal um einen deutlichen Effekt. Daher klopfte ich jeden Tag um eine bestimmte, stets gleiche Zeit in der Nacht mit der immer gleichen Anzahl von Schlägen von innen gegen die Ziegel.
Ich weiß nicht, was mich mehr begeisterte: die Reaktion der kompakten Wesen oder die Töne, die ich erzeugt hatte, mir bestätigend, dass ich grundsätzlich zur Kommunikation fähig war.
Ich führte diesen Plan wochenlang aus, bis ich so satt war, dass ich nichts weiter mehr zu Stande brachte, so sehr hatte sich die Ängste der kompakten Wesen positiv auf mein Gemüt ausgewirkt. Es verging kein Tag, an dem nicht beide Kompakten sorgenvoll zu der Wand blickten, hinter der ich mich befand und jedes scheinbar an mich gerichtete Wort aufsog. Und ich war zuverlässig: jede Nacht, drei mal drei Schläge gegen die Ziegel.

Doch auch hier kam der Tag, an dem sie sich satt an meinem Klopfen gehört hatten und ich fand eines der kompakten Wesen mitten im Zimmer stehend vor. Plötzlich begann das Wesen mit seiner Umgebung zu sprechen, obwohl doch keiner außer ihm und mir anwesend war. Mir war, als redete es direkt mit mir. Und es tat es voller Unglück.

Kurze Zeit später sah ich, wie eben dieses kompakte Wesen begann, die Räume im Raum außerhalb meiner Mauer zu leeren. Ich begriff, dass sie eben diese Räume zu verlassen gedachte. Und das nun, da sie mit mir (oder zumindest zu mir , zu dem wo ich mich inwändig befand) gesprochen hatte!
Ich konnte nicht zulassen, dass sie mich zurückliess. Andererseits erinnerte ich mich noch an die Anfänge meiner Existenz, als ich diese Wand, die meine Wand war, verlassen wollte um andere meiner Art zu finden.

Panik bemächtige sich meiner. Hin – und Her gerissen wurde ich. Hier die wohlbekannte Wand, die mir Lebensraum war. Dort das kompakte Wesen, das mir Ursache und Anlaß der Kommunikation geworden waren und die ich nun nicht von mir entschwinden sehen wollte.

Ich faßte all meinen Mut und glitt in eine große Schachtel die gefüllt mit ihren Dingen war.
Dann verließ ich gemeinsam mit ihnen die Räume im Raum außerhalb meiner Wand, die nun nicht mehr meine Wand war.

Wir kamen in andere Räume, und da sie sich in einem anderen Haus befanden, hegte ich schon die Hoffnung, hier andere meiner Art zu finden. Voller Aufregung glitt ich in die neuen, ungewohnten Mauern. Doch ich fand niemanden vor.
Aber zumindest war ich bei den kompakten Wesen – wenn auch ausgehungert.

In den Räumen, die noch frei von Bildern und Spiegeln war, fand ich ein Metallgestänge, das eine Treppe von dem Raum darunter trennte.
Also ließ ich das Gestänge erklingen. Und wie vortrefflich es klang, so gut, dass ich sogar differenzieren konnte und unterschiedliche Töne erzeugte.
Das kompakte Wesen reagierte sehr überrascht. Es versuchte herauszufinden, welcher Defekt in dem Rohrgestänge bestand, bis es zu der Erkenntnis kam, dass die Geräusche unmöglich darin ihre Ursache hatte. Dabei streifte sie immer wieder das Gestänge und die Mauer dahinter, und redete auf mich ein.
Ja, ich sage es bewußt so, denn ich meine, sie dachte auch mit mir zu sprechen.
Das bedeutete mir ungemein viel….
Ich genoss es, endlich die mir zustehende Aufmerksamkeit zu erhalten.


Ich bin in der Mauer . Ich bleibe in der Mauer Ich umgebe Euch in der Mauer. Manchmal klopfe ich und ihr wendet voller Angst Eure fragende Stimme an mich. Ich brauche nicht zu antworten, aber ich genieße es, dass ihr mit mir sprecht. Eure Aufmerksamkeit ist meine Nahrung. Wenn ihr fortzieht, ziehe ich mit Euch.
Daher werde ich immer in der Mauer sein und ihr werdet immer die kompakten Wesen sein, die nie die Mauer durchdringen können.